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Edition der Protokolle des Wirtschaftlichen Ministerkomitees der Regierung Figl I
 

Ziel des Projektes ist die Edition der Protokolle des Wirtschaftlichen Ministerkomitees der Regierung Figl I. Die Protokolle befinden sich als geschlossener Bestand im Österreichischen Staatsarchiv, Archiv der Republik. Das Wirtschaftliche Ministerkomitee der Regierung Figl I umfaßt insgesamt 68 Sitzungen, beginnend mit der 1. Sitzung am 25. Februar 1946 und der letzten Sitzung am 4. November 1949. Geplant ist die Gesamtedition des WMK in zwei Bänden. (Band 1: 1. Sitzung vom 25. Februar 1946 bis 35. Sitzung vom 12. Juni 1947; Band 2: 36. Sitzung vom 26. Juni 1947 bis 68. Sitzung vom 4. November 1949).

Das WMK wurde Ende Jänner 1946 per Ministerratsbeschluß eingerichtet, und sollte parallel zum Ministerrat einzelnen Ministern die Möglichkeit bieten, unter Beiziehung von Experten und höheren Beamten wirtschaftspolitische Themen zu diskutieren und in beschlußfähiger Form für den Ministerrat vorzubereiten. Die Einrichtung des WMK wurde als „Wiedererrichtung“ des bereits in der Ersten Republik etablierten Handelspolitischen Ministerkomitees (1931-1937) angesehen und stellte somit eine bewußte historische Anknüpfung an die 30er Jahre dar.

Wirtschafts- aber auch sozialpolitische Themen wurden zunehmend aus dem Ministerrat ausgelagert und in diesem Gremium behandelt. Anhand der Protokolle des WMK lassen sich Interessensgegensätze, Konfliktlösungsstrategien, Entscheidungsprozesse, Einstellungen und Zielvorstellungen der Regierungsmitglieder und der Parteien bei komplexen Fragen des wirtschaftlichen Wiederaufbaus, des Außenhandels, der Lohn-Preispolitik und der Budgetpolitik nachvollziehen. Sie stellen damit eine unerläßliche Ergänzung zu den Ministerratsprotokollen der Regierung Figl dar.

Schwerpunkte der Verhandlungen im Ministerkomitee waren die Außenhandelsbeziehungen sowie die Währungsreform und die Budgetpolitik. Besonders bei Fragen der Budget- und Fiskalpolitik zeigt sich die Bedeutung dieser Quelle, da hier durch eine breite, kontroversielle und detaillierte Überlieferung der Diskussion die Standpunkte der Regierung, der Verwaltung und der Interessensgruppen sichtbar werden, während im Ministerrat die Diskussionen zu diesen Themen immer mehr verflachten.

Die staatliche Lohn- und Preispolitik war bestimmendes Thema im WMK. Da das WMK sich mit unterschiedlichen Gewerbe- und Industriesparten einzeln befaßte, lassen sich Rückschlüsse auf die politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen mikro- und makroökonomischen Rahmenbedingungen, Interessen, Rücksichtnahmen, Fragen der Durchsetzbarkeit und des Lobbying ziehen. Dabei können an diesen Themen in der Frühphase der Republik Positionen, Einflußnahmen und Entscheidungsprozesse zwischen den Regierungsparteien und den Interessensvertretungen festgemacht werden. Die Entstehungsgeschichte der konfliktträchtigen Lohn-Preisabkommen, die bis in die frühen 50er Jahre das gesellschaftliche und politische Klima der Zweiten Republik wesentlich bestimmten, spiegelt sich in den Sitzungsprotokollen so deutlich wie in keiner anderen Quelle wider. Fragen des Wiederaufbaues waren die weiteren dominierenden Themen im WMK. Entscheidungen und Diskussionen hinsichtlich Maßnahmen des Aufbaues und der Rekonstruktion der Infrastruktur, besonders der E-Wirtschaft, sowie die immer wiederkehrende Diskussion über die notwendigen Maßnahmen zur Verbesserung der Ernährungssituation ziehen sich wie ein roter Faden durch die Protokolle.

Darüber hinaus zeigen die Protokolle des WMK auch deutlich die Bemühungen der Regierung, Institutionen und Personengruppen in den politischen Entscheidungsprozeß einzubeziehen, um gesamtwirtschaftliche Ziele zu akkordieren. Die Teilnahme von Nationalbankpräsident Dr. Hans Rizzi (1945-1952) und des früheren Nationalbankpräsidenten Dr. Viktor Kienböck (1932-1938), seit Juli 1945 Berater der Nationalbank, an den Sitzungen des Wirtschaftlichen Ministerkomitees, zeigt den starken Einfluß der Oesterreichischen Nationalbank auf die Regierungsarbeit, insbesondere auf die Fiskalpolitik. Für die Frühphase der Zweiten Republik, die auf dem Gebiet der Wirtschaftsgeschichte, besonders hinsichtlich der Rekonstruktion und politischen Partizipation der Interessensverbände, Forschungslücken aufweist, können die Protokolle des WMK Informationen bieten. Kaum ein Tagesordnungspunkt, in dem nicht auf Stellungnahmen von Interessensorganisationen repliziert wird. Viele Kammer- und Gewerkschaftsfunktionäre waren in die zahlreichen Unterkomitees eingebunden. Im Verlauf der Sitzungen wird die Verästelung der Entscheidungsprozesse, die de facto Institutionalisierung und Auffächerung von Entscheidungsinstanzen manifest. Das Wirtschaftliche Ministerkomitee bietet somit einen genauen Einblick in die frühe Entwicklungsphase der Sozialpartnerschaft.

Neben der Beteiligung der Sozialpartner wurden hohe Beamte aus den Bundesministerien laufend in die Entscheidungsprozesse des WMK einbezogen. Damit eröffnet sich ein neues Forschungsfeld auf dem Gebiet der Interaktion zwischen staatlicher Bürokratie, Interessensorganisationen und Regierung.

Auch die Rolle der Alliierten (Alliierter Rat) und ihrer Einflußnahme auf die Wirtschafts- und Sozialpolitik der Regierung kann anhand der Protokolle des WMK nachvollzogen werden.